top of page

Die schwierigste Übung

Viele Menschen sind Zeit ihres Lebens auf der Suche. Sie suchen meist eine möglichst einfache Formel, die ihnen die Last der Verantwortung abnehmen soll. Nur keine eigenen Entscheidungen treffen oder gar Fehler machen.

Im Internet sind Anleitungen und Methoden für alle Lebenslagen zu finden. So finden sich Glücksformeln, Antistressformeln, Ernährungsratgeber, Methoden für ein langes Leben und natürlich weiß ein Experte, wie lange man in welcher Position schlafen muss, damit man gut durch den Tag kommt.

Bereits jetzt ist die Liste der Tipps und Tricks für ein langes, glückliches und erfolgreiches Leben schier endlos und doch wird sie stetig erweitert. Je nachdem, welcher Markt gerade bedient werden soll und welches Produkt wir kaufen sollen.


Dauerberieselt durch Werbung wird uns das Menschsein abtrainiert und der Konsument eintrainiert. Auf der Jagd nach dem täglichen Glück, nach der einen Anleitung oder der universellen Methode für alle Probleme vergessen viele Menschen sich selbst. Sie erliegen dem Drang, sich ständig optimieren zu müssen und gehen bei dem Versuch, den Normen der Gesellschaft zu entsprechen, fast unter.

Die Seele schreit schon lange nach Hilfe und der Körper ruft nach einem Stopp. Doch Schwäche zu zeigen, passt nicht in diese Welt und gegen Schmerzen gibt es Medikamente. Funktionieren muss der Mensch, koste es was es wolle. Der Fernseher hat es so gesagt.


Getrieben in diesem Hamsterrad zieht schnell ein ungebetener Gast ein, die Einsamkeit. Denn für Menschlichkeit oder gar Menschsein ist kein Platz und keine Zeit. Viel Konsum für das vermeintliche Glück erfordert viel Geld und dieses wiederum viel Arbeit, um es zu verdienen. Man ist in einem schier endlosen Kreislauf gefangen, den man nur durch Betätigung einer Notbremse wieder verlassen kann.


Für viele Menschen scheint ein tiereischer Freund die Rettung aus einer Welt, die alles andere als freundlich und lebensbejahend geworden ist und die uns mit Maßnahmen, Verboten und Regeln die Luft zum Atmen nimmt. Besonders der abrupte Stopp durch die Lockdowns hat viele Menschen ihre Leere erkennen lassen und sie an ihre Grenzen gebracht.


Abhilfe und Ablenkung haben sich viele Menschen durch einen tierischen Freund versprochen. Die schöne bunte und vermeintlich perfekte Onlinewelt zeigt immer wieder, wie einfach doch ein Hund zu erziehen ist und wie man ihn mit wenig Aufwand in die gewünschte Norm trainieren kann.

Nicht bedacht wird beim Zuseher meist, dass auch Hunde Lebewesen sind. Lebewesen wie wir, mit Stärken, Schwächen aber auch Kompetenzen. Manche Hunde haben einen ganzen Rucksack voller negativer Erfahrungen dabei, andere dagegen sind recht „unkompliziert“. Doch wer weiß das schon, wenn man sich für einen Hund entscheidet, dessen Beschreibung nicht selten aus einer Märchenwelt zu stammen scheint.

Die eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten haben bei vielen Menschen und ihren Hunden Spuren hinterlassen und so manche sind aneinander verzweifelt. Auch Hundeschulen wurden geschlossen und selbst Einzelstunden waren verboten. So wundert es nicht, dass viele Menschen an ihren Hunden, die so gar nicht der schönen Onlinewelt entsprechen wollten, gescheitert sind. Hilfe konnten sie sich nicht holen und die Konsequenzen erleben wir jetzt.


Viele Tierheime rufen inzwischen SOS, sie können keine Hunde mehr aufnehmen. Zu viele Hunde wurden abgegeben, weil die Menschen wieder regelmäßig in die Arbeit müssen und sie nun keine Zeit mehr haben. Viele Hunde aber werden abgegeben, weil sie verhaltensauffällig geworden sind und nicht mehr in das Leben ihrer Menschen passen. Sie sind in die Falle der vermeintlich schnellen Trainings getappt.

Denn auch im Umgang mit unseren Hunden wird häufig nach der schnellsten und einfachsten Methode gesucht, damit der Hund, wie vom Menschen gewünscht, funktioniert. Diesem Ansinnen kommt so mancher Anbieter gerne nach und verspricht eine schnelle „Lösung“ aller Probleme. Gemeint sind die des Hundes versteht sich.


Ein paar Leckerchen hier, ein paar Kommandos dort und fertig ist der Hund. So zumindest die Theorie. Allein auf sich gestellt, sieht die Praxis dann meist anders aus. Der Hund will nicht so wie beschrieben und der Mensch kommt ohne Anweisung nicht weiter.

Vielleicht aber ist es genau das, was uns an einem harmonischen Miteinander hindert? Der Wunsch nach einer Bedienungsanleitung für alle Eventualitäten des Lebens.


Für Lebewesen gibt es keine Anleitung und wird es auch niemals geben. Zu unterschiedlich ist ein jedes und zu einzigartig. Dies anzuerkennen wäre ein erster, aber wichtiger Schritt raus aus der Fremdbestimmung und rein in die Selbstbestimmung.

Wie können wildfremde Menschen wissen, was uns und unseren Hunden guttut, was wir wollen oder was wir brauchen? Braucht ein Hund wirklich einen roten Ball, ein braunes Hundebett oder ein grünes Halsband? Sicher nicht.

Hunde brauchen Menschen, die ihnen vermitteln, dass sie mit beiden Beinen fest auf den Boden stehen und bereit sind, Entscheidungen für sich und ihren Hund zu treffen. Hunde brauchen Menschen, die sie verstehen, die sich in ihre Welt begeben und die sich der schwierigsten Übung stellen.

Hunde brauchen Menschen, die sie mit einer inneren Haltung überzeugen und sie souverän durch diese Welt führen. Sie brauchen Menschen, die wieder Verantwortung für sich und ihre hündischen Begleiter übernehmen.


Abgelenkt durch viel zu viele äußere Einflüsse, neuste Erkenntnisse und unzählige Meinungen haben wir verlernt zu leben und haben uns auf eine Suche schicken lassen, die erst enden wird, wenn wir nicht mehr mitmachen.

Wenn wir nicht mehr suchen, können wir uns auf unsere schwierigste Übung einlassen. Innezuhalten und zu erkennen, wer wir wirklich sind und was wir wirklich brauchen. Ist es wirklich das neueste Smartphone, ein noch größeres Auto oder immer weitere Reisen, die uns glücklich machen oder liegt unser wahres Glück nicht direkt vor unseren Füßen? Sehen wir es nicht, weil wir uns durch all die Ablenkungen von unserem Weg haben abbringen lassen?


Beobachten wir unsere Hunde erkennen wir, dass sie das Leben annehmen, so wie es ist. Sie leben jeden Tag so wie er kommt und vergeuden keine Energien mit den Dingen, die sie nicht beeinflussen können. Niemand kann vorhersagen, was morgen oder in einigen Tagen oder gar Wochen geschehen wird. Hunde konzentrieren sich auf das für sie wichtige und kümmern sich nicht um etwas, was vielleicht, eventuell oder unter Umständen kommen könnte.


Die Zeiten sind momentan nicht einfach und für mögliche Krisenzeiten sollte man sich vorbereiten, aber dennoch nicht in Panik verfallen. Angst ist der schlechteste aller Ratgeber, verleitet uns zu Fehlern und macht am Ende auch krank. Konzentrieren wir uns auf Argumente und lassen wir uns nicht durch die vielen verschiedenen Interessen blenden, bekommen wir ein klares Bild und können entsprechend reagieren. Nichts anderes würden unsere Hunde tun, wenn eine auf den ersten Blick kritische Situation auf sie zukommen sehen. Haben sie alle Informationen gesammelt, treffen sie die Entscheidungen, die für sie in dieser Situation wichtig sind und das sollten wir von ihnen annehmen.

Jede Krise bietet aber auch eine Chance. Es ist die Chance, alte Fehler zu erkennen, sich neu aufzustellen und aus alten Fesseln der Abhängigkeit zu befreien.


Vieles können wir beeinflussen, im Negativen wie im Positiven. Konzentrieren wir uns auf das Positive, hat das Leben sehr viel zu bieten. Wir müssen nur hinsehen, befreit von allen Manipulationen, die uns vor den Bildschirmen halten sollen.

Alles was wir brauchen ist ein wenig Mut, die alten vorgegebenen Pfade zu verlassen um neue Wege zu beschreiten. Unsere Hunde können uns auf diesem Weg eine große Hilfe sein, denn sie sind fast grenzenlos geduldig mit uns.


Die schwierigste Übung für uns ist das Leben selbst, ohne Anleitung, ohne Ratgeber und ohne „Experten“. Dafür aber mit viel Bauchgefühl, einem klaren Verstand und einem offenen Herzen!


© Marion Höft

bottom of page