top of page

Machen wir uns ehrlich

Was wird den Menschen nicht alles eingeredet. Jeder Hund braucht nur ein wenig Training, viel Liebe und Geduld. Auslandshunde wünschen sich nichts mehr als ein warmes Körbchen oder eine 7 Tage Erfolgsmethode auf den Markt, die einen in Windeseile auf Kommando perfekt funktionierenden Hund verspricht. Mit Ehrlichkeit hat dies wenig zu tun, die Realität erzählt uns etwas ganz anderes.


Besonders wer einen „gebrauchten Hund“ aufnimmt, muss sich über die "Risiken und Nebenwirkungen" im Klaren sein. Viele dieser Hunde haben das Überleben fernab von Menschen gelernt. Sie in unser, für sie vollkommenes fremdes Leben, zu integrieren, kann eine ungeahnte Herausforderung sein. Viele Menschen scheitern an dieser Aufgabe, weil sie falschen Versprechungen gefolgt sind oder an universelle Trainingsmethoden geglaubt haben.


Von vielen dieser Hunde ist meist nichts bekannt. Man weiß nicht wo sie aufgewachsen sind, was sie erlebt haben und schon gar nicht, welche Strategien sie für sich gelernt haben, um überleben zu können. So manche Straßenhunde wehren sich vehement gegen ihre Rettung und es braucht Tage, um sie einfangen zu können. Welche Geschichte diese Hunde mitbringen und warum sie vor Menschen flüchten, wird ihr Geheimnis bleiben.


Die Wissenschaft hat uns die enorme Bedeutung der Präge- und Sozialisierungsphasen erklärt. Während dieser Zeit können Hunde negative Erfahrungen z.B. Misshandlungen gemacht haben, die sich tief in ihrem Inneren verankert haben. Hier kann eine Bewegung, ein Wort, ein Geräusch u.v.m. genügen, um einen Angriff „aus dem Nichts“ auszulösen.


Nicht zu unterschätzen sind diejenigen, die Hunde vom Welpenalter an durch streng getaktete Sozialisierungsprogramme laufen lassen. Diese Hunde sollen innerhalb von 12 Wochen alles lernen, was der Mensch als sinnvoll erachtet. Viele dieser Hunde aber werden dabei am Hund vorbei sozialisiert.


Damit all diese besonderen Hunde eine echte Chance haben, um in ihrem neuen Leben ankommen zu können, gibt es in der Tat eine Erfolgsmethode. Bei diesen Hunden muss der Mensch lernen, mit den Eigenarten des Hundes umzugehen. Manchmal kann man auch nur akzeptieren, dass dieser Hund ist wie er ist, dass er niemals den Vorgaben aller Experten oder der eigenen Wunschvorstellung entsprechen wird.


Seien wir bereit zu sehen was ist und befreien uns von dem, was wir glauben sollen. Dann ist der Weg für ein Zusammenleben geebnet. Auch wenn es nicht immer den Idealvorstellungen der Anderen entspricht, kann es doch perfekt sein. Weil Mensch und Hund sich arrangiert und akzeptiert haben - so wie sie sind.


Wenn sich weiterhin vor der Wahrheit gedrückt wird, wird das Leid vieler Hunde weitergehen. Sie werden weiterhin ihrer Freiheit beraubt, in enge Boxen gezwängt um auf eine Reise ins Unbekannte zu gehen um an Orten abgegeben zu werden, die sie hoffnungslos überfordern.

Immer mehr Hunde werden sich in Tierheimen wiederfinden, eingesperrt in enge Zwinger und ohne große Chance, diesen Ort jemals wieder verlassen zu können. weil man sie als aggressiv eingestuft hat.


Und für viele dieser Hunde wird ihre Rettung weiterhin ganz anders enden. Sie werden eingeschläfert, weil sich in Tierheimen oder anderen Organisationen kaum noch Platz findet für all die außer Kontrolle geratenen und somit nicht vermittelbaren Hunde.

Man kann und muss nicht jeden Hund retten. Ein Straßenhund ist nicht zwingend unglücklich, nur weil er auf der Straße lebt. Es kommt immer auf die jeweilige Situation an. Retten ja, aber zuerst mit Verstand und dann mit Herz.


Gestehen wir uns ein, dass auch wir Menschen an unsere Grenzen kommen können. Dass wir nicht für alles eine Lösung haben und schon gar nicht die Naturgesetze außer Kraft setzen können. Ist ein genetischer Defekt die Ursache für die Verhaltensauffälligkeiten, werden selbst die schmackhaftesten Leckerlies oder das lauteste Kommando nicht für Abhilfe sorgen können.

Auch wird meist kaum berücksichtigt, dass sich hinter dem auffälligen Verhalten des Hundes eine Krankheit verbergen kann. Hier braucht es ein geschultes Auge des Hundetrainers und einen Tierarzt.


Ein altes Sprichwort sagt: was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Dies gilt auch heute noch.

Deprivationsschäden sind weder trainierbar noch therapierbar. Sie bleiben ein Leben lang - bei Mensch und Hund. Es sind die natürlichen Grenzen des Machbaren.


Die Ehrlichkeit dies zu thematisieren, vermisse ich in der Hundewelt 2.0. Es ist eine Welt, die auf Gleichheit setzt und übersieht, dass Hund nicht gleich Hund ist. Dass jeder Hund individuell ist und manche auch speziell sind. Manche Hunde sind fernab jeglicher Norm und werden es auch immer sein. Sie werden immer etwas Besonderes sein und daher auch besondere Menschen brauchen. Sie brauchen Persönlichkeiten, die um Hunde wissen und standhaft bleiben wenn die Außenwelt meint, alles besser zu wissen.


Machen wir uns ehrlich und überdenken unsere Vorstellungen von perfekten und funktionierenden Hunden. Glauben wir nicht nicht allen Empfehlungen, die jemand empfohlen hat weil irgendwer meint, etwas empfehlen zu können was ein anderer empfohlen hat.


Wagen wir wieder mehr Ehrlichkeit und befreien uns von dem durch außen auferlegten Stress. Es wäre ein Segen für Mensch und Hund und eine gute Grundlage, um einen gemeinsamen Weg finden zu können. Es ist der Weg, den kein anderer kennen kann. Es ist IHR Weg!


Schließen möchte ich mit einem Zitat von Karl Lagerfeld: „Persönlichkeit fängt dort an, wo der Vergleich aufhört“.

Hören wir auf, uns und unsere Hunde mit anderen zu vergleichen (müssen). Befreit von diesem von außen auferlegten Zwang, kann ein entspanntes Zusammenleben beginnen.


©️Marion Höft

bottom of page