Eine Beziehung meist voller Missverständnisse und zu hohen Erwartungen
Viele werdende Eltern machen sich wenig Gedanken, wenn bei ihnen Nachwuchs unterwegs ist. Es wird erwartet, dass der Hund die Freude der Eltern teilt, das neue Familienmitglied wie selbstverständlich akzeptieren und sich über den kleinen "Spielkameraden" freuen wird.
Es ist schließlich der Nachwuchs der „Alphas" und gut ist's.
Die werdenden Eltern sind voller Vorfreude auf ihren heranreifenden Nachwuchs konzentriert und bemerken die Verhaltensänderungen ihres Hundes meist nicht oder erst sehr spät.
Der Hund spürt bereits sehr früh, dass mit seinem Frauchen etwas anders ist. Sie riecht und verhält sich anders. Ich erlebe in meiner Arbeit immer wieder, dass der Hund bereits vor seinen Menschen weiss, dass sein Frauchen schwanger ist.
Bereits zu diesem Zeitpunkt muss die Vorbereitung auf das neue Familienmitglied beginnen. Durch die Veränderung des Frauchens beginnt sich auch die „Rudelstruktur" zu verändern, nicht selten beginnen viele Hunde ihr schwangeres Frauchen zu beschützen. Dies hat nichts mit Ungehorsam oder Verhaltensauffälligkeiten zu tun, die man abtrainieren oder wegbefehlen kann, es sind uralte Instinkte denen der Hund folgt.
Während dieser Zeit sind die Menschen gefordert, die richtige Balance zwischen den Instinkten der Hunde und ihren eigenen Bedürfnissen zu finden. Ein permanentes Aus! Nein! Pfui! oder geh weg! ist der mühselige Versuch, den Hund gegen seine Natur in den Gehorsam zu bringen. Vertrauen oder gar Respekt schafft dies nicht, im Gegenteil, man schafft die Grundlage für spätere Probleme, die viele Eltern überfordern und nicht selten den Nachwuchs gefährden.
Zieht der Nachwuchs in das Zuhause ein, reagieren viele Hunde verunsichert. Meist haben Sie noch nie einen so kleinen Menschen gesehen, noch nie solche Töne gehört geschweige denn derart unkontrollierte Bewegungen bei Menschen gesehen.
Daher gilt es, den Hund langsam an das neue Familienmitglied heranzuführen. Respekt, Vertrauen und Akzeptanz muss wachsen. Man erhält es durch schlüssiges Handeln. Dazu gehört die Führung des neuen „Rudels" zu übernehmen und stabilisierend auf die neue Beziehungsstruktur einzuwirken.
Die Eltern des kleinen Jungen auf den Bildern hatten sich an mich gewandt, weil ihre Hündin „verhaltensauffällig" wurde. Sie hatte von einem Tag auf den anderen ihr Frauchen nicht mehr aus den Augen gelassen und sich schützend vor sie gestellt.
Was hätte ich mit der Hündin trainieren oder arbeiten sollen, wenn die Ursache tief im Innern des Frauchens verborgen lag? Wie hätte man ihr befehlen sollen, ihre Instinkte zu unterdrücken? Stattdessen haben die werdenden Eltern gelernt, mit dem neuen Verhalten ihrer Hündin umzugehen.
Die Fotos konnten entstehen, weil wir die Hunde sehr behutsam an den kleinen Erdenbürger herangeführt und ihnen von Anfang an gezeigt haben, wie sie sich richtig verhalten. Vor allem aber haben wir darauf geachtet, dass meine Hunde sich dem Baby ruhig und ohne Aufregung genähert haben.
Meine Hunde sind an Kinder gewöhnt und doch waren wir in unmittelbarer Nähe und haben auf die Signale der Hunde geachtet um sie aus der Situation herausführen zu können, sobald sie Anzeichen von Unsicherheit oder Überforderung gezeigt hätten.
Mein unsicherer Rüde Pongo hat das Geschehen aus der Ferne betrachtet. Niemals hätte ich ihn gezwungen in eine Situation zu gehen, der er noch nicht gewachsen ist.
Jedes Jahr werden nach offiziellen Angaben über 90.000 Kinder meist vom eigenen Familienhund verletzt, teilweise auch schwer. Die Dunkelziffer dürfte ein vielfaches höher sein.
Dies muss nicht sein, wenn sich die Erwachsenen ihrer Verantwortung bewusst sind, auch das Wesen ihres Hundes berücksichtigen und ihre häufig viel zu hohen Erwartungen ein wenig zurücksetzen.
Bitte lassen Sie Kinder und Hunde niemals unbeaufsichtigt und schon gar nicht ohne Aufsicht spielen. 90 % aller Beißvorfälle ereignen sich während den gemeinsamen Aktivitäten. Aus Spaß kann ganz schnell ernst werden, es sind Hunde!
Kind und Hund in trauter Zweisamkeit ist durchaus möglich, geschenkt aber bekommt man diese Beziehung nicht und erfordert u.a. gegenseitigen Respekt, Rücksicht und auch viel Einfühlungsvermögen. Je nach Hund kann es durchaus viel Arbeit bedeuten, deren Lohn am Ende aber unbezahlbar ist.
Vor allem aber: Die beste Hundeschule und auch "Menschenschule" ist immer noch der gesunde Menschenverstand, ein Herz am rechten Fleck und das Vertrrauen in sein Bauchgefühl.
©️Marion Höft