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Kastration - die eine Lösung für alle Probleme?


Hundetrainerin Marion Hoeft und ihre Hündin
Hundetrainerin Marion Hoeft: Kastration - die eine Lösung für alle Probleme?

Kastration: ist es wirklich das Erziehungswundermittel im Zusammenleben mit unseren Hunden?

Eine Umfrage im Rahmen der Bielefelder Kastrationsstudie aus dem Jahr 2007 ergab ein erschreckendes Ergebnis: Den häufigsten Grund für eine Kastration stellte unerwünschtes Verhalten dar (74 %), danach folgt als Begründung das Zusammenleben von Hündin und Rüde in einem Haushalt (30 %). Lediglich 21 % der befragten Hundehalter gaben medizinische Gründe für eine Kastration an.

Besonders bei Rüden wurde und wird der Glaube geschürt, dass die Kastration DAS Wundermittel gegen Verhaltensprobleme sei. Nicht wenige Hundehalter, Hundetrainer und auch Tierärzte schwören darauf.

Bereits hier möchte ich betonen, dass eine Kastration niemals Erziehungsfehler beseitigen kann!


Viele Verhaltensauffälligkeiten, besonders Aggression von Rüden, werden auf das Hormon Testosteron zurückgeführt.

Aber was ist Aggression? Aus Menschensicht unerwünschtes Verhalten – aus Hundesicht ganz normale Kommunikation.

Die am häufigsten gezeigte Aggression bei Hunden ist die „Angstaggression“.

Besonders unsichere, ängstliche Hunde reagieren häufig in letzter Konsequenz aggressiv. Die Ursache dafür ist nicht das Hormon Testosteron, sondern Führungsdefizite der Halter. Ängstliche und unsichere Hunde brauchen einen starken Menschen, der sie souverän führt. Dazu gehört Regeln und Grenzen zu setzen, in Konfliktsituation stets ruhig zu bleiben und diese für die Hunde zu lösen.


Hinzu kommen Missverständnisse in der Kommunikation zwischen Mensch und Hund. Auch Knurren und Zähnefletschen ist ein ganz natürliches Ausdrucksverhalten unserer Hunde.

Dieses „Fehlverhalten“ der Angst zeigen unsere Hunde schon sehr früh. Doch die ersten Signale werden häufig vom Menschen übersehen, missverstanden oder sogar gemaßregelt. Ein sich ducken, den Schwanz einziehen und Ohren anlegen wird entweder als süß bezeichnet oder „der soll sich nicht so anstellen“ abgetan. Dass uns unser Hund hier bereits ganz deutlich mitteilt, dass er der Situation nicht gewachsen ist, wird nicht in Betracht gezogen. Schließlich muss der Hund funktionieren. Und wer mag schon z.B. einen Schäferhund, noch dazu ein Rüde, mit Angst in Verbindung bringen? Sehr wenige.


Eins ist sicher: wird der Hund in seiner Unsicherheit und Ängstlichkeit nicht wahrgenommen, wird er irgendwann schnappen. Was soll er auch sonst tun, wenn all seine Signale nicht beim Menschen angekommen sind und unter Umständen sogar noch bestraft werden?

Schnell bekommt der Hund dann den Stempel der Aggression aufgedrückt, nicht selten wird er als gefährlich eingestuft. Für unsere Hunde hat dies nicht selten dramatische Folgen.


Suchen sich die betroffenen Menschen Hilfe, ist häufig die erste Frage: ist Ihr Rüde kastriert? Wenn nicht wird dringend eine Kastration empfohlen und allzu gerne vertrauen die geplagten Menschen auf dieses empfohlene Wundermittel.

Manche Rüden werden durch diesen Eingriff in ihren Hormonhaushalt ruhiger. Die Unsicherheit und Ängstlichkeit aber wird durch die Wegnahme der Sexualhormone häufig sogar noch gesteigert. Durch das Sexualhormon Testosteron wird die Cortisolausschüttung gehemmt und wirkt dadurch angstlösend, welches wiederum das Selbstbewusstsein steigert. Greift der Mensch nun in diesen von der Natur gut durchdachten Zusammenspiel der Hormone ein, kann dies sogar eine Verschlimmerung des „Fehlverhaltens“ erzeugen.


Bei einer „Angstaggression“ ist eine Kastration sogar kontraproduktiv!

Neben der Aggression gibt es noch ein nicht zu duldendes Fehlverhalten unserer Hunde und soll durch das Allheilmittel Kastration beseitigt werden:


Die Dominanz!


Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen und menschliche Verhaltensweisen auf den Hund übertragen. Aber auch hier sieht es in der Hundewelt ganz anders aus.

Dominante Hunde brauchen den Einsatz von Aggression nicht. Ein dominanter Hund ist souverän. In einem Rudel werden ihm freiwillig Privilegien zugestanden, die er für sich in Anspruch nimmt, ganz ohne Gewalt. Dominanz ist in der Hundewelt keine Eigenschaft, sondern eine Beziehung der Rudelmitglieder untereinander die von unten nach oben stabilisiert.


Die von uns bezeichnete Dominaz hat nichts mit einem Dominanzstreben des Hundes zu tun, wie wir es aus unserer Welt kennen. In den allermeisten Fällen handelt es sich hier schlichtweg um mangelnde Führungskompetenz der Menschen. Wie hier eine Kastration Abhilfe schaffen soll, ist mir absolut unverständlich.


Ein bedenklicher Trend, der mittlerweile aus den USA auch bei uns vermehrt einkehrt, ist die Frühkastration:

Betroffen sind vor allem derzeit noch Hündinnen, vermehrt müssen aber auch die Rüden unters Messer.

Durch den viel zu frühen Eingriff in den Hormonhaushalt, bleiben die Hunde in der körperlichen Entwicklung zurück und können nie richtig erwachsen werden. Während der Pubertät entwickelt sich das Gehirn unserer Hunde unter dem Einfluss der Sexualhormone nochmal weiter, eine zu frühe Kastration unterbindet diesen Entwicklungsprozess und hat ausschließlich negative Folgen für unsere Hunde.

Nicht selten werden die betroffenen Hunde aggressiver gegenüber gleichgeschlechtlichen Artgenossen und auch unsicherer, nicht nur gegenüber anderen Hunden.


Bevor man eine Kastration wegen Verhaltensproblemen in Erwägung zieht, sollte dringend abgeklärt werden, ob es sich wirklich um ein hormongesteuertes oder um ein erlerntes Verhalten handelt.

Wer durch eine Kastration lediglich das Paarungsverhalten seines Rüden unterbinden will, sollte sich bewusst sein, dass selbst kastrierte Rüden bei Anwesenheit einer läufigen Hündin weiterhin Paarungsverhalten inklusive des Hängens zeigen. Auch hier spielen die Hormone eine Rolle. Allerdings nicht das verantwortlich gemachte Testosteron, sondern das als „Glückshormon“ bezeichnete Dopamin, welchem eine selbst belohnende Wirkung nachgewiesen wurde.


Im Tierschutzgesetz ist eindeutig geregelt, dass das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder teilweise Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres verboten ist.

Daher widerspricht es aus meiner Sicht dem Tierschutzgedanken, wenn Tierschutzvereine von den Adoptanten vertraglich verlangen, gesunde Hunde kastrieren zu lassen, bei Welpen sogar viel zu früh.


Wenn eindeutige medizinische Gründe vorliegen, sieht es anders aus. Dann muss man auch nicht über ein Für oder Wider diskutieren. Hier geht die Gesundheit unserer Tiere vor.

Bis vor wenigen Jahren noch wurde eine unerwünschte Fortpflanzung durch Sterilisation erreicht. Hier werden lediglich die Samen- oder Eileiter durchtrennt. Durch diesen Vorgang wird nicht in den Hormonhaushalt der Hunde eingegriffen und es sind, in der Regel, keine Nebenwirkungen zu erwarten. Alternativ kann auch ein Chip eingepflanzt werden.


Anzumerken ist, dass die Hunde noch vor der Kastrationitis erstaunlich gesund waren und viele Krankheiten, vor denen eine Kastration heute schützen soll, kaum bekannt waren. Aus diesem Grund sollte man sich fragen, ob die Ursache der Erkrankungen nicht ganz woanders liegen kann.


Wurden die Probleme durch eine Kastration nicht behoben oder haben sich neue Probleme aufgetan, berichten Tierärzte nun von einem neuen Phänomen. Vermehrt kommen Menschen mit ihren Hunden in die Praxis, denen aufgrund der Verhaltensauffälligkeiten ihrer Hunde empfohlen wurde, die Schilddrüse untersuchen zu lassen.


Manche Probleme unserer Hunde können einen krankheitsbedingten Hintergrund haben, die meisten jedoch nicht. Sie sind vom Menschen verursacht! Da schaffen weder Skalpell noch Hormonpräparate Abhilfe - auch wenn dies als der vermeintlich einfachere Weg erscheint! Die Nebenwirkungen dieser menschlichen Bequemlichkeit können für die Hunde erheblich sein und lebenslange Auswirkungen haben, welche Mensch und Hund gleichermaßen überfordern.

Egal wie man es dreht oder wendet: „Erst wenn der Mensch sich ändert!“ haben unsere Hunde eine wirkliche Chance, in einer für sie fremden Welt anzukommen und zu bestehen.

Und lassen Sie sich bitte nicht von einer Industrie verunsichern die Angst benutzt, um medizinische Eingriffe zu rechtfertigen. Sollten die vorgebrachten "Argumente" stimmen, dass Hunde an allen möglichen Krankheiten sterben könnten, wenn sie nicht kastriert werden, so müssten unsere Hunde bereits seit Jahrhunderten ausgestorben sein.


Jedes Lebewesen auf dieser Erde hat einen wohldurchdachten Mechanismus mitbekommen, der uns allen das Überleben sichert. Die Natur ist ein wohldurchdachter und in sich greifender Mechanismus, der sich auch stets selbst reguliert. Daher stellt sich die Frage, ob der Mensch das Recht hat, in diesen Kreislauf eingreifen zu dürfen.


Greift der Mensch in diesen Mechanismus ein, richtet er meist mehr Schaden als Nutzen an, weil er den natürlichen Kreislauf unterbricht. Wir erleben es immer wieder.


Bedenken sollte man vor einer Kastration auch, dass eine OP ein erheblicher Eingriff ist, der häufig auch mit schweren Nebenwirkungen, viele sichtbar erst einige Zeit nach dem Eingriff, einhergehen kann.

Zusätzlich sollte man auch berücksichtigen, dass eine Kastration lediglich der Versuch ist, die sichtbaren Symptome eines Problems zu beheben, dessen Ursache meist ganz wo anders liegt. Bevor man also zu so einem drastischen Mittel greift sollte man auch überlegen, ob es nicht gerade die Eigenarten des Hundes sind, die ihn so besonders machen und auch, das man nicht alles wegoperieren oder abtrainieren kann und manche Dinge einfach bleiben. Wäre es da nicht für alle entspannter, wenn der Mensch lernt, mit den Besonderheiten seines Hunde umzugehen? Bereits diese Einstellung könnte so manche Probleme zumindest erleichtern, für Mensch und Hund.

Eines aber können wir nicht ändern, egal mit welchen Mitteln oder Medikamenten es auch versucht wird. Unsere Zeit auf Erden ist begrenzt. Wir sollten daher unsere Zeit auf Erden mit Freude nutzen, anstatt aus Angst vor allem möglichen das Leben mit all seinen schönen Facetten zu verpassen.


©️Marion Höft


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