Warum das kein Widerspruch ist
Allein schon die Bedeutung zwei Wörter könnte unterschiedlicher nicht sein, und doch bedingen sie einander.
Es liegt wohl im menschlichen Naturell, dass alles, was man mag oder liebt, gerne umsorgt und auch festgehalten wird. Sei es der Partner, den man nicht mehr verlieren möchte. Die Kinder, die man am liebsten 24 Stunden am Tag nicht mehr aus den Augen lassen möchte oder auch die Hunde, die für viele Menschen zum Mittelpunkt und häufig auch zum einzigen Freund geworden sind.
So werden die Kinder mit allem, was ihr Herz begehrt, beglückt und verwöhnt. Sie werden von einem frühkindlichen Lernkurs zum nächsten gefahren und die Augen der Eltern sind immer dabei.
Was das Kind aber gerne möchte, dass es auch mal alleine mit der besten Freundin, dem besten Freund einfach mal Blödsinn machen möchte, wird dabei von den liebenden Elternherzen außer Acht gelassen und auch, dass Kinder Freiraum brauchen, um sich entwickeln zu können.
So behütet und beschützt wird vielen Kindern aber die Luft zum Atmen genommen. Vielen Kindern sieht man ihre „Beschütztheit“ förmlich an. Aus ihren Augen spricht das pure Unglück. Dieses Unglück und auch die unterdrückte Entwicklung wird sich irgendwann ihren Ausweg suchen. Es kommt nicht von ungefähr, dass immer mehr Kinder und später noch, wenn sie erwachsen sind, verhaltensauffällig oder gar depressiv werden. Früher oder später kommt das Innere nach außen.
Gut beobachten können wir, dass auch unsere Hunde durch viel zu viel Nähe förmlich ihr Hundsein genommen wird. Sie werden mit allem überschüttet, was man irgendwie für Geld bekommen kann. Kurse ohne Ende bis zur Unkenntlichkeit des wahren Hundes, Betten, Näpfe, Streicheleinheiten von Früh bis Spät und natürlich zum Zeichen der großen Menschenliebe gibt es Leckerlie ohne Ende.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie hoch bei manchen Hunden die Toleranzgrenze ist und was sie sich alles gefallen lassen. Doch auch der gutmütigste Hund sagt irgendwann mal „Es reicht!“ und befreit sich aus der Umklammerung seines Menschen. Manche gehen auf Distanz und ziehen sich nur zurück, andere aber beißen schon mal zu, wenn es ihnen zu viel wird und sie ihre Ruhe brauchen.
Man kann davon ausgehen, dass die Hunde einige Male mehr als deutlich gewarnt und gezeigt haben, dass es genug der Liebe ist. Doch immer noch verstehen viele Menschen die Signale nicht oder wollen sie auch nicht sehen. Man meint es doch gut.
Wie viele Kinder auch leiden manche Hunde unter zu viel Nähe. Es nimmt ihnen die Luft zum Atmen und schränkt sie in ihrem wahren Wesen ein. Besonders Kinder und Hunde, die immer stiller werden und sich mehr und mehr zurückziehen, wird schnell eine Depression unterstellt und das passende Medikament ist schnell verabreicht.
Manchmal reibt man sich verwundert die Augen, wenn man sieht, mit welch jungen Jahren Kindern bereits Psychopharmaka verschrieben werden.
Noch erstaunlicher ist, dass selbst Hunden mittlerweile eine Depression attestiert wird und ihnen ebenfalls Psychopharmaka, die für Menschen gedacht sind, verabreicht werden.
Was dabei kaum hinterfragt wird ist, warum Kind oder auch Hunde angeblich depressiv geworden sind, was man tun kann, damit sie wieder zu sich selber finden können.
In meiner Arbeit erlebe ich sehr häufig, dass die Menschen sich völlig aufgegeben haben und nur noch für ihren Hund leben. Sie buchen Kurse, üben von morgens bis abends Kommandos und je nach Größe wird der Hund auch noch getragen.
So werden Kinder und auch Hunde mit Erwartungen und häufig auch Problemen vollgepackt, die nicht die ihren sind. Sie sollen trösten, unterhalten, Spaß machen und stets zu Diensten sein. Zusätzlich werden sie in Schubladen und Normen gepackt, nach denen sie zu funktionieren haben.
Rebelliert das Kind oder der Hund, wird noch mehr Liebe draufgepackt und noch mehr gearbeitet und die Hilferufe überhört.
Man müsste nur an sich selber und seine Reaktionen denken, wenn man mit zu viel Nähe und Liebe fast erstickt wird. Irgendwann bricht man aus, beendet Freundschaften oder auch Partnerschaften, wenn es einem zu viel Nähe wird und streift sich das auferlegte Korsett ab.
Werden Hunde problematisch kann es so manche Ursachen haben. Neben gesundheitlichen Problemen kann es schlichtweg eine falsch verstandene Liebe sein. Ein zu viel an Nähe, ein zu viel an Erwartungen und auch ein zu viel an Beschäftigung.
Das Zauberwort dabei heißt loslassen, auch wenn es vielen Menschen schwerfällt, die Kontrolle abzugeben. Nur was man loslässt, kann sich entfalten und entwickeln und das ist es doch, was wir uns für unsere Lieben wünschen.
Geht man auf Distanz ist die Grundlage für unser Gegenüber geschaffen, von selber zu uns kommen und unsere Nähe zu suchen. Lassen wir unsere Hunde wieder Hunde sein. Geben wir die Regeln vor und setzen wir Grenzen, haben sie das Werkzeug, was sie brauchen: Orientierung!
Wer auch mal auf Distanz geht, hat auch die Zeit, sich um sein eigenes Seelenleben zu kümmern und im Inneren in Ordnung zu bringen, was in Ordnung gebracht werden muss. Dies kann uns niemand abnehmen, weder unsere Kinder noch unsere Hunde. Und schon gar nicht unser Partner, der ebenfalls ein Recht auf ein eigenständiges Leben hat.
Lassen wir die meist viel zu hohen Erwartungen los, fällt meist schon ein großer Ballast ab, den wir nicht mehr auf andere übertragen müssen.
Nur was man loslässt, kommt gerne zu uns zurück: freiwillig und ohne Kommando. So schafft am Ende nur die Distanz die Nähe, die uns allen guttut. Der eine braucht mehr, der andere eben weniger.
„Erst wenn wir das loslassen was uns am Boden hält, können wir fliegen“. Dies sollten wir auch für alle bedenken, die uns wichtig sind!
©Marion Höft