Für viele Menschen ist es so gut wie unvorstellbar, dass der eigene Hund jemals auffällig oder gar gefährlich werden könnte. Viel Zeit wurde ins Training investiert, um dem Hund die sog. Grundkommandos beizubringen oder ihn ausgiebig auszulasten.
Noch mehr Zeit und Leckerlies wurden investiert, um diese Kommandos zu üben und zu festigen, damit man einen gehorsamen Hund bekommt. Hunde sind schlau und so mancher tut für ein Leckerlie sehr vieles. Sich hinzusetzen oder auf Kommando hinzulegen, ist für viele Hunde eine Leichtigkeit.
Doch bereits hier übersehen viele Hundehalter und auch Hundetrainer was in dem Hund wirklich vor sich geht und freuen sich stattdessen über seinen vermeintlichen Gehorsam. Auf das Gebrülle „Platz“ z.B. reagieren viele Hunde mit einem fragenden Blick und spulen alles ab, was sie gelernt haben, das richtige wird schon dabei sein. Und das ist es auch meist und das Leckerli kommt prompt geflogen. Ziel erreicht würden so manche Hunde sagen.
Auch wenn es lange Zeit gut geht, der Hund auf alle Kommandos wie gewünscht reagiert, ist das Leben, auch das unserer Hunde, doch um einiges komplexer. Konflikte, Angst oder Unsicherheit lassen sich nunmal nicht wegkommandieren, das sollte man mittlerweile gelernt haben.
Für keinen Hund, egal wie gut trainiert, gibt es eine Garantie und schnell kann das Undenkbare geschehen: der eigene Familienhund greift einen anderen Hund an, springt einen Radfahrer unvermittelt an und bringt diesen zum Sturz oder er verletzt ein Kind.
Der Schock ist groß, wenn Post vom Amt kommt und ein Wesenstest vom Hund verlangt wird und bei vielen Menschen macht sich Panik breit. Was, wenn der Hund diesen Test nicht besteht? Dass mittlerweile viele Hundeschulen spezielle Trainingsangebote zur Vorbereitung auf diese Wesenstest fest eingeplant haben, sollte einem zu denken geben. Sind das Einüben dieser Grundkommandos, das wilde Toben in Spielgruppen oder die sich stetig erweiterten Kursangebote doch nicht die ultimative Lösung für alle Hunde und falls nein, warum wird daran festgehalten?
Interessant ist, dass es bei diesen Wesenstest keinen Standard gibt und fast schon jeder Prüfer seine eigenen Regeln aufstellt. Für die betroffenen Hundehalter macht es die Vorbereitung nicht leichter. Zumal viele Anforderungen am Hund vollkommen vorbei gehen. Viele Situationen die gestellt werden, haben mit dem natürlichen Verhalten eines Hundes nichts zu tun sondern verlangen ein Verhalten, das völlig am Wesen Hund vorbei geht und so manches wäre sicher tierschutzrelevant.
Was völlig dabei außer Acht gelassen wird ist die Frage nach dem Warum. Warum hat der Hund in dieser Situation gebissen oder den Radfahrer angefallen, obwohl es sonst nie Probleme gab? Es sollte Grundwissen eines jeden Hundehalters sein, dass Hunde situativ reagieren.
Geht man der Frage nach dem Warum nach, bewegt man sich in Richtung einer Lösung, die nachhaltig ist. Die Ursachen können dabei vielfältig sein. Hat sich der Hund erschreckt, hat er sich bedroht gefühlt, war er mit der Situation überfordert oder waren es gar gesundheitliche Probleme wie Schmerzen?
Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass die allermeisten Hunde aufgrund ihrer Orientierungslosigkeit überfordert sind. Ihnen wurde beigebracht, dass sie sich auf Kommando setzen oder legen sollen aber nicht, wie sie mit den für sie schwierigen Situationen zurecht kommen sollen. Sie haben Nein, Aus, Pfui gelernt aber niemand hat ihnen je gezeigt, wie sie sich richtig verhalten wenn z.B. Besuch kommt, wenn Kinder laufen oder Radfahrer vorbeihuschen. Meist werden sie in Sitz oder Platz befohlen und bleiben in dieser Haltung sich selbst überlassen. Den Konflikt, den die Hunde in solchen Situationen mit sich austragen, wird meist nicht erkannt.
Besonders wenn Herdenschutzhunde zum Wesenstest beordert werden, sollte bei diesen eigenständigen Hunden eine ganz andere Herangehensweise zugrunde gelegt werden. Nur weil für diese Hunde von Menschen erfundene Grundkommandos keinen Sinn ergeben, sind sie nicht automatisch bösartig oder gefährlich. Sie sind und agieren nur anders.
Mensch und Hund sind miteinander verbunden und häufig ist der Mensch die Ursache, wenn Hunde problematisch werden. Es macht daher keinen Sinn, irgendetwas mit den Hunden zu machen, sie zu trainieren und zu konditionieren, wenn man sie weiterhin führungslos sich selbst überlässt.
Wenn Hunde problematisch werden, so ist dies immer individuell, dies gilt auch für Wesenstests. Man muss immer sehen, was das Problem hinter dem Problem ist und daran arbeiten. So war vor einigen Wochen eine Kundin mit ihrem Herdenschutzhund bei mir, um sich auf den Wesenstest vorzubereiten.
Die Ursachen für die Auffälligkeiten dieser an sich ruhigen und in sich ruhenden Hündin waren recht schnell gefunden. Zum einen hatte sie gesundheitliche Probleme, die schnell behoben werden konnten. Die eigentliche Ursache aber, warum die Hündin auffällig wurde waren nicht, wie angenommen Menschen oder Hunde. Es waren Geräusche und daran haben wir gearbeitet. Der Schwerpunkt der Vorbereitung auf den Wesenstest aber lag darauf, dass Frauchen und Hündin eine gute Beziehung aufbauen und die Hündin lernt, sich an ihrem Frauchen zu orientieren. Bleibt diese bei Geräuschen ruhig, dann kann sich auch die Hündin entspannen. Es kann so einfach sein. Und ja, die Beiden haben den Test bestanden!
Aus meiner Überzeugung macht es keinen Sinn, für alle Lebewesen irgendetwas nach Methode oder Schema F durchzuziehen. Wir sollten gelernt haben, dass diese Gleichmacherei sehr viele Verlierer produziert und nur sehr wenige Gewinner. Man muss sich nur die Schulen und unsere Kinder betrachten. Werden die Ursachen nicht erkannt und sich nur an den Symptomen abgearbeitet, schafft man neue Probleme, wo vorher keine waren.
Beziehungen sind immer Ursache und Wirkung und niemals eine Einbahnstraße. Wer meint, nur den Hund ein wenig trainieren zu müssen um alle Probleme zu lösen, übersieht das Lebewesen Hund, das doch einst der beste Freund des Mensch war.
Bereite ich Mensch und Hund auf den Wesenstest vor? Ja, aber nicht nach Methode und daher biete ich auch keine festen Kurse an. Die Vorbereitung findet auf Anfrage und ganz individuell statt und einige habe ich auch abgelehnt.
Wie bereits erwähnt, lernen und agieren Hunde situativ. Daher sagen diese sog. Wesenstests sehr wenig über das wahre Wesen des Hundes aus. Alles was uns dieser Wesenstest sagt ist, wie unser Hund in dieser Stunde an diesem Ort mit diesen Menschen und Geschehnissen zurechtgekommen ist. Am nächsten Tag, mit anderen Gegebenheiten kann der Hund ganz anders auf für ihn kritische Situationen reagieren. Aus diesem Grund bringt es meist sehr wenig, den Hund in den Gehorsam zu trainieren oder gar ihn zu zwingen sich zu unterwerfen. Ein Hund, der seinem Menschen vertraut, wird sich diesem anschließen und ihm die wichtigen Entscheidungen überlassen. Darauf kommt es an und das kann man nicht befehlen, das muss wachsen und der Mensch sich erarbeiten.
Wenn wieder mehr auf die natürlichen Bedürfnisse der Hunde, ihre Kommunikation und ihre natürlichen Verhaltensweisen geachtet wird, sie in ihren Schwächen unterstützt und ihren Stärken gefördert werden, steht einem vertrauensvollen Miteinander nichts mehr im Weg. Allerdings sollte man bedenken, dass es auch mit einem offiziellen Schein keine Garantie gibt. Hunde bleiben, wie wir Menschen auch, ein Stück weit immer unberechenbar.
Erst wenn der Mensch sich ändert, ändern sich auch unsere Hunde. Und wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht und sich die Geschehnisse betrachtet fragt man sich, ob nicht so mancher Mensch zum Wesenstest sollte. Allerdings stellt sich die Frage, wer die Anforderungen festlegen soll?
©Marion Höft